Text Ausstellung Dreamland, 2025

Der in der Slowakei geborene Künstler hat zunächst am Lehrstuhl für Bauwesen in seiner Heimat studiert und ab 1996 Malerei und Grafik an der Akademie der Bildenden Künste in München bei Prof. Hans Baschang.
Er war Meisterschüler und schloss 2003 das Studium mit dem Diplom ab.
In dem Gemälde „Zuschauer“, Öl auf Lwd. und Tape, 200 x 180 cm, 2021, nimmt Melichercik direkten Bezug auf eine Gruppe von Touristen in Florenz.
Der Künstler hat ein besonderes Interesse am Beobachten des Geschehens von Gruppen. Was verbindet sie? Was trennt sie? Gibt es eine Figur, die aus der Gruppe ausbricht? Welche Gruppendynamik artikuliert sich? Die Konstellation der Figuren, die eine Gruppe bilden, erbeutet der Künstler mit seiner Kamera und dient ihm als Vorlage für sein Gemälde.
Auf waagerecht aufgeklebtem beigefarbenen Tapeband, einem eher unwirklichen Malgrund, ist eine Gruppe von Menschen in flüchtigem Schwanz malerisch modelliert.
Die Gruppe von Touristen befindet sich außerhalb von Florenz, um aus der Ferne die prächtige Stadtvedute zu fotografieren. Die Momenthaftigkeit der Szene vermittelt dem Betrachtenden den Eindruck, sich als unbemerkter Beobachter – als Voyeur – am Ort des Geschehens zu befinden. Aus der geschlossenen Gruppe bricht eine Figur aus, die mit einem T-Shirt bekleidet ist, auf dem das Haupt der Medusa zu erkennen ist. Dieses Rückenmotiv scheint mit uns Betrachtenden Kontakt aufnehmen zu wollen. Das Gruppenbild findet hier einen neuen Platz zwischen fotografischer Vorlage, Malerei und Zeichnung als malerischer „in-between-space“. Auch in den Bildern „Percha“, Öl und Acryl auf Lwd., 160 x 150 cm, 2021 und „Am Strand“, Öl und Acryl auf Lwd. 160 x 150 cm, 2021, schlüpfen wir in die Rolle des Voyeurs von Gruppen. Der Realitätsbezug in „Percha“ offenbart eine Gruppe vornehmlich junger Menschen, die sich auf einem Steg auf der Höhe von Percha am Starnberger See zum „sunset“ versammelt haben.
Die sommerliche Atmosphäre des Sonnenuntergangs ist nicht nur durch die fotografierte Gruppe eingefangen, sondern auch im gelbroten Farbraum festgehalten. Die Lesart von „Am Strand“ bleibt hingegen uneindeutig. Handelt es sich hier um eine Gruppe Badender, die dem Schwimmvergnügen in der Abendstimmung nachgehen oder aber schauen wir auf das Drama einer Gruppe von Flüchtlingen auf dem Mittelmeer. In seinen Bildern erforscht Melichercik die Lage der darin befindlichen Personen. Seine Darstellungen von Gruppen sind keine Kopien des in der Realität Gesehenen und Fotografierten, sondern Interpretationen von gruppendynamischen Momenten. Der Künstler schlüpft hier in die Rolle des Diagnostikers von zeitgenössischen Gruppen und transformiert die beobachteten Unbeobachteten in eigene malerische Wirklichkeit. Jozef Melichercik begreift den Vorgang des Malens als kreatürliche, geradezu dem Atem nahestehende Form der Weltaneignung. Wiederholt ist es das Wasser, das als Schwemmgebiet für seine Motivik dient. Das großformatige Bild „Pool“, Öl und Acryl auf Lwd., 200 x 170 cm, 2018 zeigt das Gesicht einer jungen Frau im Wasser. Das Wasser steht der Dargestellten nicht nur bis zum Hals, sondern bis zur Nase. Ambivalent bleibt der geschilderte Moment. Handelt es sich um eine Szene des Ab- oder Auftauchens aus dem Wasser. Hingegen taucht die Malweise hier als expressiver Realismus auf, die Suggestivität und Zeitlosigkeit Raum gibt. Die eindringlichen Werke der Porträtserie „Faces“, Öl und Acryl auf Lwd., je 120 x 100 cm, 2024 und 2025, sind von großem Kalkül. Anonyme Gesichter aus dem Internet werden in eine anonyme Schwarz-Weiß, Schwarz-Pink oder Schwarz-Violett Malerei übersetzt. Auf einer schwarzen Grundierung wird die digitale Physiognomie kontrastreich modelliert. Die isolierten Gesichter sind nicht zur Gänze ausgestaltet, sondern lassen bewusst Leerstellen, die vom Auge des Betrachtenden ergänzt werden können. Die Gesichter sind in ihrer Ausgesetztheit und Verdinglichung melancholisch, rätselhaft sowie unnahbar zugleich. Der Künstler experimentiert vorurteilsfrei mit der Umkehrung der Prinzipien von Licht und Schatten. Die Protagonisten von „Faces“ sind Typen, die der digitalen Vorlage entstammen und im unkodierten malerischen Bild zu Repräsentanten einer unbekannten Wirklichkeit mutieren. Wie Filmstilsl wirken die Gemälde „Happy Sunday“, Öl auf Lwd., 90 x 60 cm und „Black Friday“, Öl auf Lwd., 90 x 60 cm, 2023, als sei in ihnen die Handlung in einer Momentaufnahme festgehalten worden.
Dieser Eindruck gründet in der Inspiration, die Melichercik aus Filmen zieht und die er sich für seine Malerei zunutze macht. Die verborgenen Erzählungen in den Bildern bleiben für den Betrachtenden teilweise schwer entschlüsselbar, dennoch bringt der Künstler die unterschwellige Dramatik der Szenen auf den Punkt. So rekurriert „Black Friday“ auf einen US-amerikanischen Ganovenfilm. Rechts im Bild sieht man den Killer in einem Sessel sitzend dargestellt, in der linken Hand sein Gewehr zum Anschlag haltend, während vor ihm sein Schützling steht. Die Bildszene kann mit einem Moment des Films „Das Fenster zum Hof“ von Alfred Hitchcock assoziiert werden, gleichwohl der Film hier nicht als Vorwand diente. In „Happy Sunday“ erkennt man hingegen drei schemenhafte Figuren, ein Mann und zwei Frauen, die in einer häuslichen erotischen Konstellation anzutreffen sind. Melicherciks Themen kreisen um Gewalt und Erotik und er verfolgt erneut sein gekonntes Spiel beobachtete Unbeobachtete malerische in Szene zu setzen. Als verspätetes Medium liefert diese Malerei kongeniale Antworten auf filmische Impulse. In dem großformatigen Diptychon „Jäger“, Öl und Acryl auf Lwd., 340 x 180 cm, 2020 werden wir Betrachtende Zeugen von zwei Jägern, in Ausübung ihrer anachronistischen Sportart, die schon dem Plaisir der Könige und Fürsten diente. Die Jäger übernehmen bildnerisch die Rolle von anonymen Tätern und haben die Gewehre zum Anschlag aus dem Farbraum in ein Nirgendwo gerichtet. Keine blutige Spur von Jagen und Töten ist auszumachen. Dennoch löst der in Camouflage Manier gestaltete Farbraum, in dem sich die beiden Jäger befinden für Zeitgenossen Unbehagen aus. Die Jagdszene hat hier längst die naive Unschuld verloren und lädt als Projektionsfläche zu Kritik und Stellungnahme ein. Die Malerei von Jozef Melichercik offenbart sich als eine an den Menschen gebundene Praktik des Sehens und raut die Glätte der heutigen medialen Bilder auf. Die in der Ausstellung gezeigten Gemälde sind über einen figurativen Anspruch hinaus darauf gerichtet, die Bedeutung menschlichen Handelns zu fassen. Den Künstler geht es um den Gewinn an Erkenntnis. Er überführt die Malerei in ihr „Dreamland“ und somit in eine andere Wirklichkeit des Denkraums. Der von mir sehr geschätzte Neo Rauch formuliert das so: „Von daher glaube ich, Malerei als die Fortsetzung des Traumes mit anderen Mitteln ansehen zu können.  

Stefan-Maria Mittendorf M.A. Kunsthistoriker/Kurator für zeitgenössische Kunst